Selbstzweifel, Zwangsgedanken – ambulante Therapie (2. Kind)
Nachdem ich die Berichte hier gelesen habe, möchte ich meinen doch auch dazuschreiben, da viele Frauen hier von Antidepressiva und sonstigen Medikamenten schreiben, die mir als Therapie nie vorgeschlagen wurden, obwohl ich nach der Geburt meines 2. Kindes unter einer schlimmen und lang andauernden Postpartalen Depression litt.
Was dann kam, war ein Jahr Psychotherapie mit allen Höhen und v.a. Tiefen, anschließend ein knappes halbes Jahr Paartherapie zusammen mit meinem Mann und im Anschluss daran unsere sehr gut überlegte, aber v.a. gefühlsgeleitete Entscheidung zu unserem 3. Kind.
DIE ZEIT NACH DER GEBURT – ZWEI VÖLLIG UNTERSCHIEDLICHE ERFAHRUNGEN:
Nach der Geburt unseres 1. Kindes (ein „Wunschjunge“) ging es mir blendend: Tag 3-5 waren die klassischen Heultage, aber nicht sehr stark ausgeprägt. Ich erlebte mich nervlich „durchgeschüttelt“, aber das tiefe Glücksgefühl über unser Kind überwog ganz klar. Und das, obwohl es ein ungeplanter und unerwünschter Kaiserschnitt geworden war, den ich allerdings körperlich enorm gut wegsteckte und sehr schnell wieder sehr fit war. Den Alltag mit Kind empfand ich als gemütlich und total angenehm: ein pflegeleichtes Baby, das unser ganzer Stolz war, eine gelungene Umstellung unserer Paarbeziehung auf „Elternschaft“ ohne Verluste im Sexualleben, ich fühlte mich jederzeit allen Situationen mit unserem Kind gewachsen und empfand ein tiefes Glücksgefühl über meine Lebenssituation. Vor der Geburt/ Schwangerschaft war ich eine sehr starke, belastbare und erfolgreiche Frau gewesen, die allerdings extrem perfektionistisch und stets von geheimen Selbstzweifeln geplagt war (davon wussten nur sehr, sehr wenige Menschen). Nun schienen mir alle Lebenswünsche in Erfüllung gegangen, und ich hoffte auf ein dauerhaftes Nachlassen dieser elenden Selbstzweifel.Schnell wurde ich wieder schwanger, und anderthalb Jahre nach der ersten Geburt kam unser 2. Sohn, diesmal per Wunschkaiserschnitt, zur Welt. Wieder Tag 3-5 Heultage, diesmal allerdings mit konkreten „Sorgen“: Wie würde unser Erstgeborener mit der „Entthronung“ fertig? Wie sollte ich als Einzelkind es schaffen, beiden Geschwistern gerecht zu werden in alltäglichen Eifersuchts- und Konkurrenzsituationen? Schließlich fehlte mir jegliche Erfahrung… Diese Sorgen hatten mich bereits während der zweiten Schwangerschaft wirklich geplagt; mein Einzelkind-Dasein war eine stete Belastung in meinem Leben, und ich hatte immer von vielen eigenen Kindern geträumt, um ihnen dies zu ersparen. Und nun stand ich da mit „einem guten Anfang“ für den „Viele Kinder-Plan“ (nämlich schon Zweien) und traute mich nicht ran an die Aufgabe! Alle Bücher, die ich zum Thema Geschwisterkonstellationen etc. während der Schwangerschaft verschlungen hatte, schienen mir nun hohl und leer, und niemand verstand meine Verzweiflung, vor einer Aufgabe zu stehen, der ich mich nicht perfekt gewappnet fühlte. Die üblichen gutgemeinten Ratschläge, man solle sich locker machen, andere hätten das auch schon geschafft, mein Instinkt werde mich schon richtig leiten, mit der Zeit werde ich schon sehen, dass sich alles einspiele…, verpufften völlig in mir. Dazu kam, dass unsere gesamte Lebenssituation deutlich stressiger als beim ersten Kind geworden war: Wir hatten zeitgleich zur zweiten Geburt ein Haus gekauft, das groß umgebaut werden musste. Ein halbes Jahr nach der Geburt sollte der Umzug stattfinden, und parallel ergab sich noch der Wechsel meines Mannes zu einer neuen Firma mit einem in jeder Hinsicht deutlich anspruchsvolleren Job. Rush Hour!
DEPRESSION Im Gegensatz zum völlig entspannten ersten Jahr mit unserem 1. Kind standen wir nun ständig unter Strom, und das mit einem Anderthalbjährigen und einem Säugling zu Hause… Ich funktionierte zwar und bekam alles Organisatorische der Kinderversorgung (Schlaf- und Essenszeiten, ständig zwei Kinder „am Bein“ mit noch sehr hohen individuellen Anforderungen an die Mutter) recht gut in den Griff, aber in mir breitete sich eine so abgrundtiefe Verzweiflung, Traurigkeit und Unzufriedenheit dauerhaft aus, wie ich sie nur aus einsamsten Momenten in unglücklichen Singlezeiten kannte.
Morgens aufzuwachen und den Weg unter die Dusche zu schaffen, glich der Anstrengung eines Marathonlaufs, vom Rest des Tages ganz zu schweigen. Die doch so geliebten und gewünschten Kinder raubten mir den letzten Nerv, oft saß ich schon morgens um halb acht das erste Mal heulend auf der Couch und sah den Tag als bedrohlichen Riesenberg vor mir. Inseln der Erholung waren mir nur die paar Stunden, die ich mal einen Babysitter hatte, der mir die Kinder abnahm – ich sehnte mich nach Ruhe und Zeit für mich allein, die ich dann aber nur zu oft vor mich hin grübelnd und vor emotionaler Erschöpfung heulend, geplagt von Selbstvorwürfen und -zweifeln verbrachte. Nachts quälten mich schlimmste Albträume, in denen ich meinen 2. Sohn im Maxi Cosi irgendwo stehen ließ, mich dann später nicht erinnern konnte, wo ich ihn stehen ließ. Und als ich ihn schlussendlich wiederfand, war er allerdings tot wegen Mangelversorgung durch mich… Tagsüber beim Autofahren hatte ich oft den Impuls, das Lenkrad herum zu reißen und endlich meine Familie von mir zu befreien – JEDE andere Frau, die mein Mann nach einer Trauerphase fände, würde den Job schließlich besser machen als ich…
HEILUNG Hiervon erzählte ich meiner Nachsorgehebamme, die mir zu einer Psychologin riet und mir im Internet „Schatten & Licht“ empfahl. Im Internet informierte ich mich sofort und stellte fest, dass ich hinter jedes der beschriebenen Symptome einer Depression einen Haken setzen konnte. Den Gang zur Psychologin schob ich noch einige Monate vor mir her… Schließlich gab es so viele Gründe, die sich vorschieben ließen: keine Zeit, zu teuer, wird schon von alleine weggehen, sind ja nur die Hormone… Ihr kennt sie alle! ? Fast ein Dreivierteljahr nach der zweiten Geburt war mein Leidensdruck dann aber doch so groß und keine Besserung in Sicht, dass ich den ersten Termin ausmachte. Anfangs im Wochentakt, dann zwei- bis dreiwöchentlich gingen wir meiner Traurigkeit auf den Grund, allerdings ohne Medikamente. Keine Ahnung, warum mir so etwas nie angeboten wurde. Mein Erstaunen, dass mich die Depression nach dem 2. und nicht gleich nach dem 1. Kind erwischt hatte, nahm mir die Psychologin: Es sei gar nicht selten, dass man erst nach der zweiten Geburt in eine Überforderungssituation hineinkomme, und DIE sei ausschlaggebend für das Zusammenbrechen vorher sorgsam aufgebauter Überzuckerungsstrategien.
Nach einem halben Jahr Therapie brachen dann endlich die Wunden meiner Kindheit in mir auf; ich musste mich mit meinen 36 Jahren lange verdrängten Tatsachen stellen, und der lang ersehnte, wirkliche Heilungsprozess konnte beginnen. Dies war eine sehr anstrengende, unruhige Zeit, die auch meinen Mann und unsere Ehe auf eine harte Probe stellte. Mein Mann konnte mit diesen Problemthemen überhaupt nicht umgehen und hüllte sich in hilfloses Schweigen, das mich wiederum in ein zunehmend trotziges Gefühl des Alleinseins warf. Die Psychologin riet deshalb dringend zu einer Paartherapie, damit auch mein Mann lernen könne, mit den Themen meiner Vergangenheit umzugehen und wir wieder zu einem wirklichen Miteinander fänden. Nachdem wir uns auch zu diesem Schritt durchgerungen hatten (diesmal war ich es, die nicht wollte…), ging alles erstaunlich schnell: Da unsere Eheprobleme nur so kurz vorher aufgetreten waren, ließen sie sich auch schnell wieder auflösen, und wir fanden zu einem neuen, ehrlicheren, offeneren Umgang miteinander, der von einer vorher ungeahnten Qualität und Tiefe und Ernsthaftigkeit ist (und ich fand uns vorher schon nicht oberflächlich ;-)).
MEIN FAZIT Zu hoffen, dass eine nachgeburtliche Depression, die lange anhält, „einfach so“ wieder weggeht, ist illusorisch. Das ist kein hormonell bedingter Babyblues! Da die meisten Menschen im engeren und weiteren Umfeld mit diesem Thema kaum umgehen können und Angst davor haben, muss die Frau es selbst schaffen, sich Hilfe zu holen.
Die Psychotherapie ist ein anstrengender, harter Weg, der sich aber ganz unglaublich lohnen kann!!! Meine komplette Lebenssituation hat sich dadurch nicht nur wieder auf „Vorher-Niveau“ angehoben, sondern ist (endlich) viel besser geworden! … und trotzdem sitze ich hier und jetzt nur wenige Tage vor dem errechneten Termin für mein 3. Kind und habe auch ein bisschen kalte Füße wegen der Zeit danach… Ich finde einerseits, nach so ernsthaftem Aufarbeiten sollte doch bitte kein verschüttetes Thema mehr auf mich lauern und mich wieder in den Schlund der PPD reißen, aber andererseits… wer kann das schon wissen? Drückt mir bitte die Daumen.