Essstörung, Erbrechen – Klinikaufenthalt (1. Kind)
Eine „ganz normale“ Wochenbettdepression
Unser Sohn Oskar ist jetzt 3 Monate alt. Wenn ich ihn beobachte, wie er vor sich hin brabbelt, mich anlächelt oder einfach nur friedlich schlummert, geht mir das Herz auf vor Liebe und ich möchte ihn ganz fest an mich drücken und für immer festhalten. Das war nicht von Anfang an so.
Oskar ist ein Wunschkind. Beim dritten Versuch hat es geklappt und wir waren überglücklich, als sich die Schwangerschaft bestätigte. Die nächsten 9 Monate waren wunderschön und bis auf ein paar klitzekleine Wehwehchen hatte ich keine Probleme. Die begannen erst mit den Wehen:
Oskars Kopf hatte sich nicht richtig im Becken eingestellt und drückte auf den Muttermund, welcher immer mehr anschwoll, anstatt sich vollständig zu öffnen. Wir haben dann so ziemlich alles mitgenommen, was geht – von Dammschnitt mit durchtrenntem Blutgefäß bis hin zur Saugglocke – bis nach 16 Stunden die Vaginalentbindung hektisch abgebrochen und ein Notkaiserschnitt vorgenommen wurde. Für eine Lokalanästhesie war keine Zeit mehr und so hat Oskar als erstes seinen Papa begrüßt. Als ich langsam aus der Narkose aufgewacht bin, hat man mir meinen Sohn zum Stillen gebracht. Doch nicht einmal daran kann ich mich erinnern. Das macht mich traurig, denn ich wollte ein Kind gebären und nun habe ich weder gemerkt, wie er meinen Körper verlassen hat noch, kann ich mich an unseren ersten Kontakt erinnern. Aber damit musste ich mich nun eben abfinden – Hauptsache, mit Oskar ist alles in Ordnung.
Danach ging es mir einfach nur schlecht. Durch die OP konnte ich mich kaum ohne Schmerzen bewegen, Aufstehen kam gar nicht in Frage. Daher brachten mir die Schwestern Oskar nur zum Stillen. Das habe ich auch ganz mechanisch gemacht. Nicht, weil ich es unbedingt wollte, sondern weil man das als Mutter eben tut. Ich wartete vergeblich darauf, dass sich endlich dieses überwältigende Muttergefühl einstellt. Natürlich fand ich mein Kind wahnsinnig niedlich und ich wusste, dass er von nun an einer der zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben sein würde. Aber ich fühlte es nicht. Ich schrieb das meiner schlechten körperlichen Verfassung durch die schwere Geburt und dem hohen Blutverlust zu – ich war eben noch nicht ganz auf dem Damm.
Als dann die sogenannten Heultage einsetzten, dachte ich: „Alles okay, davon hab ich gelesen“. Dann begann die Appetitlosigkeit. Ich musste mich zum Essen zwingen. Schon wenn ich den Essenswagen im Krankenhaus gehört habe, wurde mir übel. Da empfahl man mir, nach Hause zu gehen. Ich würde in vertrauter Umgebung schneller wieder auf die Beine kommen.
Also verließ ich nach sechs Tagen mit Oskar das Krankenhaus. Da ich immer noch große Probleme mit dem Stehen und Laufen hatte, pflegten mich abwechselnd meine Schwester und meine Mama. Die Heulerei ließ ein wenig nach und meine Hebamme kam regelmäßig zu uns. Durch ihre Reflexzonenmassage konnte ich auch langsam wieder besser essen. Aber etwa 10 Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, als Oskar uns beiden eine fast schlaflose Nacht beschert hatte, wurde es wieder schlimmer. Ich habe nur geweint, konnte kaum etwas zu mir nehmen und wenn doch, erbrach ich es wieder. Als sich das nach 4 Tagen nicht besserte und ich durch das Stillen immer schwächer wurde, brachte mich meine Hebamme zu einer befreundeten Ärztin, die mir eine Glukoseinfusion gab. Doch mein Kreislauf war durch die fehlende Energie so geschwächt, dass er dort kollabierte.
So wurden wir wieder ins Krankenhaus eingewiesen – diesmal mit Mann, der sich um Oskar kümmern musste, da ich dazu nicht in der Lage war. Mit Infusionen versuchte man, mich langsam wieder aufzupäppeln. Mir war, als würde ich sterben. Nicht, dass ich das gewollt hätte, aber ich war so geschwächt, dass ich nach jedem Stillen dachte: „Es geht nicht weiter, ich kann nicht mehr!“ Aber nach einigen Tagen war ich wieder so weit zu Kräften gekommen, dass ich einige Schritte gehen konnte. Auch trockenes Brot, Kamillentee und Knäckebrot konnte ich zu mir nehmen, ohne zu Erbrechen. Doch der Appetit stellte sich nicht wieder ein.
Nach etlichen Untersuchungen wurden mögliche organische Ursachen ausgeschlossen – Verdacht auf postpartale Depression (im Volksmund „Wochenbettdepression). Meine Hebamme empfahl mir, mich ins Klinikum mit einer Mutter-Kind-Betreuungseinheit einweisen zu lassen. Und weil ich Angst hatte, durch die Essstörungen mein Kind irgendwann nicht mehr Stillen zu können, ging ich mit Oskar wieder ins Krankenhaus.
Der erste Tag dort in der Klinik war schlimm. Ich habe fast nur geweint. Schon der Gedanke daran, dass ich mich – wenn auch freiwillig – in einer psychiatrischen Einrichtung befand, machte mich fertig. Ich schämte mich dafür, wo ich war, für meine grundlose Traurigkeit wo ich doch glücklich sein müsste, für die fehlenden Gefühle. Erst durch die Gespräche mit dem Arzt begriff ich, dass ich nicht verrückt, sondern einfach nur krank geworden bin – dass ich nichts falsch gemacht habe, sondern der Hormonabfall nach der Entbindung den Transport der Botenstoffe im Gehirn beeinflusst hat. Ich erfuhr, welche Symptome vorhanden waren, die ich einfach nicht bemerkt oder der schweren Geburt zugeschrieben hatte: die Traurigkeit, die innere Leere, die langsame Erholung vom Kaiserschnitt, die Essstörungen, die Freudlosigkeit, die körperliche Erschöpfung und die Antriebslosigkeit. Erst jetzt erkannte ich, was mir innerlich so gefehlt hat: dass ich gar nicht ich selbst gewesen bin. Ich fasste wieder Mut – ich wollte meine Gefühle zurück!
Da diese Krankheit bei mir sehr schnell diagnostiziert und behandelt wurde, ging es mir schon wenige Tage nach Einnahme eines leichten Antidepressivums besser. Zunächst hatte ich noch Schwierigkeiten außerhalb des Krankenhauses, aber auch das wurde schnell besser, so dass wir bereits nach 3 Wochen entlassen werden konnten.
Nicht alle Frauen schaffen es so schnell. Eine Mutter, die sich fast ein Jahr lang mit der Depression quälte, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nahm, brauchte für die Genesung mehrere Monate und jede Menge Medikamente. Deswegen ist es wichtig, schnell zu reagieren. Aber dafür ist es nötig, die Symptome zu kennen. Auch ich wusste nicht, was mit mir los ist. Wer denkt schon, dass Appetitlosigkeit und Übelkeit vom Kopf kommen können? Man hört ja nie etwas darüber. Gut, die Heultage werden kurz erwähnt und als normal und harmlos dargestellt. Aber dass diese zu einer Postpartalen Depression oder gar Psychose werden können, erfährt man nur, wenn man speziell danach sucht. Zu wenige (werdende) Eltern wissen, worum es geht. Ich bekam zu hören: „Keine Angst, du schaffst das schon mit dem Kind. Entspann dich mal ein bisschen, dann wird das schon werden.“ Gut gemeinte Ratschläge, die von Unwissenheit zeugen, denn das war nicht mein Problem. Ich wusste, dass ich Oskar versorgen kann. Davor hatte ich keine Angst.
Dass es mir jetzt schon wieder so gut geht, dass ich endlich dieses große Glück und die Liebe fühle, die so ein wunderbarer kleiner Mensch auslöst, verdanke ich der Unterstützung und dem großen Verständnis meiner Familie und besonders meines Partners sowie der Kompetenz meiner Hebamme und meines Arztes. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, nach der nächsten Geburt wieder zu erkranken, recht hoch ist. Aber jetzt weiß ich, was auf mich zukommen kann. Darum freue ich mich auch auf das nächste Kind.